Über mich

Was macht es mit einer Mutter, wenn sie den Alltag mit ihrem Kind verliert?

Vor 15 Jahren wurde mir das Sorgerecht für meinen vierjährigen Sohn entzogen. Im allgemeinen, weil ich mich mehr für meine Karriere als Frauenärztin als für Marius interessiert haben soll. Im Speziellen, weil ich Nacht- und Wochenenddienste machte. So lautete die Begründung der Gerichte.

Von einem Tag auf den anderen verlor ich unwiederbringlich den Alltag mit meinem geliebten, kleinen Sohn. Die Erzieherinnen aus der Krippe, mit denen ich stets ein gutes Verhältnis gehabt hatte, händigten ihn mir nicht mehr aus. „Hüttemeidlis“ und Nachbarn betreuten von nun an Marius, wenn sein Vater am Abend Fussball spielen ging oder verhindert war. Ich durfte nicht mehr mit meinem Sohn zu Abend essen, ihn nicht mehr ins Bett bringen, ihm nicht mehr wie sonst eine Gutenachtgeschichte vorlesen.

Ich fühlte mich wie amputiert

Von meinem Kind gewaltsam getrennt. Ein grausamer Eingriff. Ohne Narkose und ohne mein Einverständnis. Es widersprach allem, was ich bisher für Recht und Glauben gehalten habe. Und es liess sich nicht rückgängig machen. Trotz eines monatelangen Kampfes durch alle Instanzen.

Obwohl ich intensiv im Internet suchte, fand ich nur eine Frau, die sich in der gleichen Lage befand. Entmutigt versuchte ich, einen neuen Lebenssinn zu finden, indem ich alte Träume aus der Studienzeit aufgriff. Doch selbst die herausfordernden Erlebnisse während humanitären Einsätzen an entlegenen Regionen in Afrika und Asien konnten meinen Schmerz über die Trennung von Marius nicht lindern. Immer wieder, in Wellen, holte mich dieser ein. Genauso wie das Gefühl, eine empörende Ungerechtigkeit erlitten zu haben. Vor 8 Jahren begann ich das, was ich erlebt habe, therapeutisch aufzuschreiben. Als ich dabei erneut das Internet durchstöberte, war ich von Neuem überrascht: Lediglich zwei Einträge über ausgegrenzte Mütter konnte ich finden. Doch je mehr ich schreibend in die Vergangenheit eintauchte, je mehr ich mich an die Situation und die Gefühle von damals erinnerte, desto mehr verstand ich, warum.

Iulia Varga

Das stille Leiden, das lange Schweigen.

Auch ich kenne diese riesige Scham, als eine Mutter dazustehen, der die Behörden das Kind weggenommen haben. Das Misstrauen in den Blicken der anderen aushalten zu müssen: Da wird schon was gewesen sein!

  • Wie soll man sich trauen, in solch einem Klima, über die furchtbare Ungerechtigkeit zu sprechen, die einem widerfahren ist?            
  • Noch dazu, wenn man am Anfang der Trennung von seinem Kind steht? Wenn der Schmerz vernichtend ist?      
  • Wenn man noch hofft und jeden Funken Kraft braucht, um für die Beziehung zu seinem Kind zu kämpfen?           
  • Wenn man vielleicht noch befürchten muss, wegen dem, was man sagt bei Behörden und Gerichte in Ungnade zu fallen?
  • Wie, wenn man nicht einmal bei Therapeuten auf Verständnis stösst?            

Sogar bei einem Mediator, der auf Eltern-Kind-Entfremdung spezialisiert ist, musste ich mir anhören, dass meine Situation nichts Ungewöhnliches sei. Standard bei einer Trennung, nur halt mit vertauschten Rollen. 

Wie kommt es, dass heute das Engagement einer Mutter dermassen herabgespielt wird? Sind es doch weiterhin die Frauen, welche sich am meisten um die Kinder kümmern!

Das Aussprechen der grässlichen Wahrheit

Während ich über die Vergangenheit schrieb, passierten neue Sachen. So wurde mir immer klarer, dass ich nicht nur für mich alleine schreibe – mir war, als ob es viel mehr Frauen in meiner Situation geben muss, dass sie nur nicht die Kraft und den Mut haben, sich zu zeigen.

Zeugnis ablegen, berichten, ein Buch darüber schreiben und die Stimme erheben kann man nur mit ausreichendem Abstand. Nachdem man auch sich selbst hinterfragt hat. Erst wenn Hass-, Wut- und Rachephantasien überstanden sind. Und wenn man gleichzeitig beschlossen hat, nicht zu vergessen, nicht zu verdrängen.

Von Vorteil ist ausserdem eine solch klare, nicht anfechtbare Geschichte wie die meine. Gleichwohl war es notwendig, in meinem Buch die Gerichtsurteile in Original einzufügen. Wer würde denn sonst glauben, dass mir das Sorgerecht entzogen wurde, bloss weil ich als Frauenärztin Nacht- und Wochenenddienste machte?*

Es passiert auch heute noch

Manche meinen, dass sich meine Geschichte heute nicht mehr wiederholen würde. Dass das zwischenzeitlich geänderte Familienrecht, nichts an der tristen Realität geändert hat, zeigen die vielen Beispiele der Mütter aus der Schweiz, die ich mittlerweile ausfindig gemacht habe. Im Gegensatz zu mir haben sie alle noch das gemeinsame Sorgerecht mit ihrem ehemaligen Partner. Und, gemäss juristischem Entscheid, sogar die geteilte Obhut.

An der traurigen Wirklichkeit mit ihren Kindern hat dies allerdings nichts geändert. Manche können gar keinen Kontakt mehr zu ihnen haben. Und bei denjenigen, die ihre Kinder noch sehen, ist die Beziehung wie ein schmerzhafter Schatten. Nicht zu vergleichen mit dem, was Müttern, die nicht entfremdet worden sind, mit ihren Kindern an Verbindung vergönnt ist.

Viele Menschen fragen sich, wie es möglich ist, als Mutter aus dem Leben seines Kindes verbannt zu werden, wenn man sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Mein Buch liefert die Antworten dazu.

* Ich habe lediglich die Namen geändert, und publiziere unter dem Künstlernamen der Protagonistin. Damit die Persönlichkeitsrechte der anderen involvierten Personen gewahrt bleiben. Aus diesem Grunde bitte ich alle, die mich erkennen sollten, meine private Identität zu wahren.